Weitreichende Gänsefüßchen
von phorkyas
Elke Heidenreich wird für das Falsche angegriffen. Als ich die „Skandal-Szene“ zum zweiten Mal gesehen habe, da war ich schon etwas irritiert, zeigt die abfallende Intonation, das improvisatorische Gewurstel der nachfolgenden Halbsätze doch, dass sie eben nicht das Folgende gesagt hat:
„Die verborgene Deutschheit müssen wir entbergen, und das tun wir, indem wir die Juden endlich beseitigen.“
Sondern dass die Anführungszeichen sich nur auf den ersten Teil des Satzes erstrecken.
Vielmehr deucht es, hat Frau Heidenreich doch dies hier geblubbert:
Also ein Satz wie.. Ich kann ihn ja kaum lesen, auch Klügere als ich verstehen ihn ja nicht, also ich schäme mich dessen nicht, dass ich vieles nicht verstehe: „Die verborgene Deutschheit müssen wir entbergen“ und das tun wir, indem wir die Juden endlich beseitigen aus Deutschland – das stößt mir schon sehr sauer auf.
Was sich da wieder an Antiintellektualismus zusammenbraut und wie da groß ein Skandalzitat angekündigt wird, ein ungeheuerlicher Satz dieses Ungeheuers, das ist doch wieder einmal der eigentliche Skandal: die völlige Skandallosigkeit (wie bei Lewitscharoff). Also ich schäme mich auch nicht, dass ich die Tiraden der Frau Heidenreich nicht verstehe, denn was ist denn und das Ungeheure dieses Satzes? Dass Frau Heidenreich ihn nicht versteht, wegen seiner verbogenen Deutschheit, oder dass er die Deutung, die sie hineinlegen möchte, und die sie dann aus anderen Quellen (Süddeutsche) herbeiparaphrasiert, so partout nicht enthält? Was mir aber sauer aufstößt, ist, dass es dabei so durcheinandergeht, dass dieses einschränkende „aus Deutschland“ gar nicht mehr auffällt, das die Universalität, mit der die Nazis Völkermord betrieben, verkennt – und dieses springerstiefelstampfende „Doch“, das noch einmal verdeutlicht, dass Frau Heidenreich offenbar nicht nur nichts versteht, sondern dann auch gleich ohne Argumente auf ihrer Meinung beharrt.
Das Zitat war nicht klar abgegrenzt, man kann das ganz einfach tun in dem man „Zitat Anfang“ und „Zitat Ende“ an den entsprechenden Stellen einfügt. — Es wurde eine Uneindeutigkeit in Kauf genommen, die man leicht hätte vermeiden können, wenn man es gewollt hätte (es passt ja gut zum Rest von Frau Heidenreichs Auftritt).
Es war das erste und zugleich letzte Mal, dass ich der Dame zugehört habe (was sie da betreibt ist nichts anderes als Diskurszerstörung).
Wobei es ja wahr ist, lieber Phorky, dass, wie Frau Heidenreich sagt, der Heidegger nicht unbedingt ein Bestsellerautor ist, auch kein Unterhaltungsschriftsteller, ja, letztlich, nicht einmal einer, der bei der Anmeldung im Hotel bei „Beruf“ hingeschrieben hätte: „Schriftsteller, Autor, Dichter, Poet“. Sondern halt doch ein Philosoph, sogar „einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts“ (passim). Und die Frage ist, ob man einer solchen Gestalt in diesem Rahmen, im Rahmen eines Literaturclubs, überhaupt gerecht werden kann. Ob der Skandal nicht ist, dass man sagt, da sind jetzt ein paar Tagebücher, die können wir doch mal so behandeln, als wären es Romane. Bei einem Philosophen, gerade einem „der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts“, muss man ja jede Äußerung vor dem Horizont seines Denkens sehen. Kriegt man das hin vor einem Publikum, das bestimmt mehrheitlich erst mal dachte: „Das sind die Tagebücher ihres Opas, darum regt die Heidegger sich so … ach, nee! Heidenreich, Heidegger — das sind ja zwei unterschiedliche Namen!?“ Das, lieber mete, müssen wir ja auch bedenken: Ein Diskurs muss immer auch mit den richtigen Leuten geführt werden! Je näher man das Zweifel’sche Projekt betrachtet, desto zweifelhafter wird es doch irgendwie, findet Ihr nicht? Heidegger hat ja auch viel über Technik geredet und geschrieben; sollen wir deswegen bei „Quarks & Co.“ seine braunen Hefte besprechen? Und wenn Ranga Yogeshwar dann zu dem Schluss kommt: „Hm, von Technik hat Heidegger nicht besonders viel verstanden, ehrlich gesagt, war beim Betanken eines Füllfederhalters Schluss!“ — müssen wir dann diese Philosophie noch einmal ganz neu hinterfragen?
Das stimmt, einerseits. Andererseits: Man kann nicht unbedingt im Vorhinein wissen wer die richtigen Leute sind (bzw. ist die Auswahl der richtigen ein autoritärer und exkludierender Akt). — Darüber hinaus kann man vielleicht durch eine Diskussion mit den vordergründig falschen Interesse wecken…
Die Frage ist, ob derjenige, der dieses Projekt ersonnen hatte, nicht genau das bekommen hat, was er wollte. Wie viele hätten sich ereifert über eine kluge, ausgewogene Diskussion beim „Literaturclub“? – Überdies hatte ich den Eindruck, dass Frau Heidenreich ihre Einwände gegen Heidegger vor laufender Kamera nicht zum ersten Mal vorgebracht hat!
Das kann gut sein (was auch erklärt warum man Frau Heidenreich sprechen hatte lassen). — Ich kann Gregors Heidenreich Aversion jetzt sehr gut nachvollziehen.
1) (@mete) Mein Eindruck ist auch, dass mit Frau Heidenreich zu diskutieren, ähnlich sinnvoll ist, wie der Versuch Wasser in einem Sieb zu kochen – dennoch: ein Literaturclub sollte anregende, geistreiche Diskussionen aufbieten, keinen rationalen oder akademischen Diskurs. (Als Abiturient hat mich zum Beispiel das Literarische Quartett bestens unterhalten – es ist dann aber natürlich die Frage auf welchem Niveau man unterhalten werden möchte.)
2) (@blogo) Die Frage, ob der Heidegger in den Literaturclub gehört, ist natürlich durchaus berechtigt, aber soll man dafür wirklich aufs Publikum schauen (und wenn sollte man die Schnarchnasen icht eher über- denn unterfordern)? Beim Literarischen Quartett war es ja amüsanterweise auch diese Grundlagenfrage um literarische Kategorien – Frau Löffler hätte den Marukami , dieses „literrischen Fast-Food“, am liebsten auch gar nicht diskutiert.
3) Im Zweifel für den Zweifel
Nun, geistreich wäre ein Kriterium, einverstanden. Und akademisch im schlechten Sinn des Worts, soll es auch nicht sein, sondern für die Allgemeinheit gemacht, aber eben: Anspruchsvoll
Wie sollte der Diskurs sei, wenn nicht rational (d.h. natürlich nicht, dass das Irrationale als wesentlicher Bestandteil der Literatur außen vor bleiben soll)?
Einen Monat lang gab es jetzt so viele schöne Zitate zum Auseinandernehmen, die auch noch VIEL schönere Rezeptionen angeregt haben als dieser olle Literaturclub – z.B. hier:
(Auch der Merte war seinen Job danach quasi los!)
Phorky, phorky, lern doch endlich, die wirklich bedeutenden Dingen des Lebens zu erkennen!
Ach der Per, da ist doch dieses hier noch vorbildlicher für den Umgang mit Sportjournalisten
edit: Link korrigiert
Irgendwie wird bei mir unter dem Link kein Video abgespielt.