Lafcadios Loch

Im Zweifel für den Angezagten

Rede vor den Mitversterbenden

by phorkyas

Mein Sohn will einfach keine Bücher lesen, nur Comics. Gut dann schaffe ich die eben heran und lenke ihn in Richtung Graphik Novels. McClouds „Understanding Comics“ räumte die letzten Zweifel aus, dass es sich bei Comics um eine Kunstgattung handeln kann. Das Buch landet wohl in dieser ganzen Digitalität langsam auf dem Abstellgleis der Kulturgeschichte. Dennoch: Ich hoffe noch auf ein ästhetisches Erweckungserlebnis für ihn. Und die kann ich mir nicht so recht von Donald Duck oder Asterix & Obelix auf der Switch vorstellen. Er scheint es auch gar nicht zu wollen, das ist wohl die Differenz. Dabei: Was wäre es, diese ästhetische Erfahrung, die einen im Kern verwandelt und zu einem anderen werden lässt, als man vorher war? Waren es diese alten Schinken von Dostojevskij und Kierkegaard, wirklich? Oder das tastende Schreiben eigener Verse?

Irgendwo da muss sich das Ich doch geregt haben – in der schmerzhaften Erfahrung, dass es da einen inneren, unkommunierzierbaren Kern gibt, ein so tiefes, poetisch-fragiles Gespinst, das ich nie in ein gutes Bild würde bannen können, das aber doch mich selbst ausmacht. – Und gleichzeitig, fühlte ich mich verbunden mit diesen anderen Geistern, die ähnliche Dinge, zu ihrem Kern, in ihrer Zeit, doch irgendwie haben äußern können. Oder ich konnte mich selbst in ihre Figuren projizieren. So fehlerhaft und pathetisch diese Übertragung auch immer wieder ist; sie ist das Gelingen der Kunst. Eine schwankende-wankende Täuschung, die leicht ins Lächerliche fällt, aber traumwandlerich müssen wir uns halten, noch ein paar Schritte tun.

Fail!?

by phorkyas

[…] Vielleicht macht es die Mischung, dass ich so dünnhäutig auf ungenaue Sprache reagiere oder auf sinnfreie Sprechblasen oder Latenzen. (aus „Kann das wirklich weg?“ 57 Interventionen für die Kultur)

Die Nichtidentischen II

by phorkyas

Für Kierkegaard ist das Nichtidentisch-sein-mit-einem-selbst Verzweiflung, die Krankheit zum Tode. Nur woher rührt dieser Zwiespalt, in den wir mit uns selbst geraten können – und den wir den Maschinen so gern absprechen wollen?

In einer Einführung zu Whitehead stand dieser faszinierende Satz:

Und genausowenig wie das klare Bewußtsein in der Lage ist, das gesamte Erfahrungsspektrum zu erfassen, sowenig ist die Sprache mit ihren traditionellen Bedeutungsstrukturen fähig, sämtliche Dimensionen des Gedankens zu erfassen und wiederzugeben.

Unweigerlich zog mich das an: Weil ich es natürlich auch spüre, dass die feinen, inneren Regungen mehr sind als, was in die Sprache emporgehoben werden kann. Aber: wenn wir genau diesen Gedanken so naiv in Sprache formulieren, zeigen wir dann nicht ein geradezu blindes Vertrauen, dass dieses Instrument, dem wir das Misstrauen aussprechen wollen, noch derlei Dinge über sich selbst präzise und ohne zu irren, aussagen kann?

Die „prinzipielle Inkongruenz von Sprache und Gedanke“ ist das vielleicht ein ähnlicher Zwiespalt, wie der zwischen mir und meinem Nicht-mehr-ganz-ich? Weil dieses Nicht-Ich im inneren Monolog in Sprache mit sich spricht, kommuniziert in diesem abstrakten Medium, das schon zu weit weg ist vom Urquell unserer inneren Erfahrungen. Wie wollen wir in Sprache etwas postulieren, was außerhalb ihrer selbst sei?

Das dichterische Raunen beginnt. Die Beschwörung.

Die Nichtidentischen

by phorkyas

Mein Hund steht vor der Haustür. Angespannte Läufe. Statuenhaft. Nur die Nase bewegt sich. Er schnuppert. Ist ganz dieses Riechen.

Während ich schon weiterhasten will. Nicht mit meinen Sinnen da bin. Wir Menschen sind fast nie präsent im Präsens. Nur für einen verglimmenden Augenblick sind wir auf der Welt. Aber währenddessen sind wir nicht einmal wirklich da. Wir Nichtidentischen.

Mein unsichtbares ich

by phorkyas

Das Ich ist eine Illusion

ein Taschenspielertrick, der davon ablenkt,

dass es sich selbst aus dem Zylinder zog

Gründlich verwischt die Spuren der Stiefellasche,

an der es sich aus dem Sumpf befreite.

Vielleicht ob seiner Unsicherheit

will es sich wissen machen, es

durchdringe die ganze Welt

blicke zum Urgrund des Seins

durchschaue jedes Wesen, jeden Mensch

dabei kann es nicht einmal Auskunft

geben von sich selbst

sanftmütig und beacheiden sei mein ich,

leisetretend in das Getöse der Welt

es schmiege sich an den Beton wie das Efeu

es sei eine in den Wind geschriebene Geste

ein Hauch

ein Wort

ein Zeichen

für jeden offenkundig

nicht nur die Tempelwärter

und zertifizierten Wortmagier

verstünden

wie es schweigt

Artunterschiede

by phorkyas

Menschen bestellen sich fremde Darmflora im Internet,

mein Hund frisst einfach Pferdekot.

Auftritt

by phorkyas

Er sah mich in der S-Bahn direkt an.

Mit einer theatralischen Geste in die Runde:

„Findste das gut, dass die alle an diesen Dingern hängen?

Kein Menach mehr schaut den anderen an. Kein Augenkontakt, keine Verbindung.“

Sprach’s während der neben ihm irgend’nen Stream glotzte. Er fixierte mich.

„Das ist also der Fortschitt und die Technik. Nur noch Hass und Gewalt. Schöne neue Welt.“

Und er zerknüllt seine Fahrkarte bevor er aussteigt. Micdrop. Sein Auftritt in der Theaterstadt.

In der Tür dreht er sich noch einmal um: „Denk mal drüber nach.“

Und ich zücke schnell mein Smartphone, um dies hier zu notieren,

aber’s verliert das WLAN.

by phorkyas

Kunst ist, was unwidersprochen als solche firmiert. (vgl. Staatsgrenzen und internationales Recht)

by phorkyas

Wenn man so in die positiven, zwangs-enthusiasmierten Gesichter einer Get-Together-Party eines Linked-In-Posts schaut, überfällt einen schon das Gruseln wie der Kapitalismus diese Gehirnwäsche ganz ohne vorgehaltene Waffe vollführt.

Der erschreckende Abstieg der Blogs

by ringlundmatz

Vielleicht wird den Blogs natürlich auch das zum Verhängnis, was in ihnen immer schon angelegt war: dieses Element von Hochstapelei. Sie waren ja nie, auch die prominenten, auch die mit Nachdruck promoteten nicht, ernsthafte Teile des Kulturbetriebs.

Sie taten so, ja, sie hatten, neben Autoren, die locker mit Friedrich Sieburg hätten mithalten können, auch Kommentatoren, die Fritz J. Raddatz volkstümlich wirken ließen. Immer ganz von oben, immer im ganz big picture unterwegs.

Da wurden die Großen dann unbekümmert nachgeahmt, und niemand sprach die offenkundige Wahrheit aus: dass das alles Karneval war. Es ging um nichts. Es war letztlich nicht ernst, es war Hobby. Hinter der Adorno-Maske steckte irgendein kleiner Plüsch-Teddy.

Und weil diese Blogs nichts riskierten, vermisst sie auch keiner.