Was nervt
von phorkyas
Was mich an Blogs oder allgemein am Menschen nervt, ist dieses eine Ideologem: Alle doof außer ich mir! Unaufhaltbar quillt es aus allen Äußerungen, allen Gedanken hervor. Diese Selbstüberhöhung, diese blinde Selbstaffirmation. In tausend Gewändern, durch tausend Zeiten, ob in Religion, Philosophie, Wissenschaft, immer geht es um die Ausstellung, Bestätigung der eigenen Überlegehnheit.
Feuilletonesk geheult: Was für ein Croûton! Der liest ja nicht einmal Plato im Original. – Blogös: Wie du liest noch Zeitungen auf Papier? Wedelst dir wohl fürs haptisch-olfaktorische Papiergeraschel einen vonner Palme? – Wie der schämt sich noch fremd? Das ist ja zum Fremdsch.. – Jetzt guck dir mal die Mainstream-Pop-PC-Scheiße an, zum Glück bin ich ja avantgarde-reaktionär-politisch-inkorrekt.
Was für eine Rolle man sich auch zuteilt: Nation, Beruf, Steuerklasse, Automarke, Kleidungsstil, Geschlecht, Fußballteam oder Lieblingsfarbe. Es findet sich immer ein Grund, das eigene Bewusstsein als ein bisschen aufpolierter zu empfinden, als wäre der andere nicht genauso ein verrosteter Vollhonk wie man selbst.
Also: Lasst es euch ein für allemal gesagt sein: Blöder geht’s nicht! Es wird Zeit für die vierte metaphysische Kränkung: Wartet nur noch ein bisschen, dann ist unser Smartphone cleverer als wir.
Ha! Mag sein! Aber nie wird mein Smartphone sich etwas darauf einbilden, dass es REIN GAR NICHTS kapiert!
Du meinst: so blöd kann es nicht sein? –
Noch ist da wohl nicht wirklich Gefahr, wenn Google nicht einmal den Polyhistor ersetzen kann. Aber wer weiß wo das Maschinenlernen noch so hingeht – Unsere stupiden Sucheingaben sollte man schon bald ersetzen können. Aber selbst wenn man dann dem Internet sozusagen die Anker lichtet und es frei flottierend in den Wolken wabert.. wird’s der Weltgeist wohl nicht werden.Hej Phorky,
ich finde deine Zustandsbeschreibung vollkommen korrekt, gerade auch meine Kommentare triefen oft nur so vor Selbstgerechtigkeit. Aber meinst du nicht, daß es in der menschlichen Natur liegt, zu glauben, daß man selbst im Recht ist? (Es klingt bereits wie eine Selbstverständlickeit, während ich dies schreibe.) Und gerade, wenn man über Dinge intensiv nachgedacht hat und zu irgendwelchen Schlüssen kommt, müssen einem doch alle anderen, die nicht zu denselben Schlüssen gekommen sind, fast zwangsläufig als Vollpfosten erscheinen. Liegt es nicht also in der Natur der Sache, wenn Philosophen, und zu solchen zähle ich jetzt mal Blogger und Feuilletonisten, eine gewisse Überheblichkeit an den Tag legen?
Oder handelt es sich vielleicht doch nur um den Ausdruck einer (Un)Kultur, die je nach Gesellschaft variiert? Vielleicht bloggen Inder ganz anders (wenn sie nicht schon von der westlichen Blogosphäre verdorben wurden)?
Noch mit mehr Frage- als Ausrufezeichen, denn noch habe ich nicht sehr intensiv über dieses Thema nachgedacht, grüßt
Bolli
Ich wollte es auch fast noch in den Text geschrieben haben: Fast könnte man das (menschliche) Bewusstsein auch so definieren wollen, als das immerwährende Denken dieses einen ich-habe-mehr-Durchblick-als-ihr-alle-Gedanken und seine Tätigkeit als das Umschreiben, Kaschieren , Rationalisieren dieses Gedankens.
Lasst es mich mal sagen: Es dient doch einfach dem eignen Überleben, dieses, eben das was Phorky an Blogs und Menschen nervt und somit ist es adaptiv. Verhielte es sich tatsächlich anders, wir erlebten eine Welle der Selbst-Zerstörung. Ein Affe, der sich wirklich nur als Affe wahrnähme, nun der bräuchte Therapie. Und dort kriegt er sie, die ICH-Stärke, garantiert verpasst. Und dann läuft sein flotter Blog wieder zu Hochform auf…
„Es dient doch einfach dem eignen Überleben“.
Das ein Mensch ein positives Selbstbild hat, ja, sonst wird (ist) er seelisch krank und benötigt wirklich eine Therapie. Aber ich bin mir nicht so sicher, ob die Art, wie man seine Ansichten nach außen vertritt, nicht doch komplett kulturell bestimmt ist.
Hat jemand ein Beispiel für eine andere (Blog)Kultur?
Die autopoietiker.wordpress.com. Zumindest hat da niemand je behauptet, er habe Recht. Da wurde Überlebenskampf in Reinkultur geboten, ohne den süßlichen Überzug bröselnder Zivilisiertheit.
@blogo: Deshalb sind die autopoietiker auch ausgestorben?
@tom: Auf einen ähnlichen Biologismus hab ich nur gewartet. Bei „Ideologem“ dachte ich auch schon an das unsägliche „Mem“. (Das wäre dann aber ein anderes Argument, das ich im Text nicht explizit machen wollte: Die Weltbilder überleben, die sich selbst stabilisieren, indem sie ihren ‚Trägern‘ eine psychologische Belohnung schenken.)
Klasse!!
(Insgeheim vermute ich, dass die Smartphones sich längst eigenständig miteinander verständigen und sich ihr Bedienpersonal als App herunterladen.)
Jetzt mal noch mit etwas mehr Zeit: Was mich ebenfalls zunehmend nervt bzw. zumindest leises Unbehagen verursacht, sind diese Selbstetikettierungen – ein auf Stirn, Lippen, Blog vor sich hergetragenes „Ich bin Künstler!“ z. B., noch bevor von Kunst überhaupt etwas zu sehen ist. Mag sein, ich bin da etwas naiv und es funktioniert heutzutage nicht anders, aber mir jedenfalls gefiele es deutlich besser, wenn das Werk für sich sprechen könnte, ohne dass es zuvor durch die überlauten Beteuerungen in den Hintergrund gedrängt wurde.
@punctum:
Das Problem ist, dass manchmal kein entsprechendes Werk vorhanden ist und der Meta-Diskurs dominiert.
Bei einigen ist diese Form der Selbstbeweihräucherung auch die einzige Lobpreisung, die sie erhalten. Meine These ist ja: Wer sich als Künstler (bzw. Künstlerin) bezeichnet, ist zumeist keine/r. Das ist in dieser Apodiktik natürlich auch schon wieder rechthaberisch und zu pauschal. Aber vielleicht liegt ein bisschen Wahrheit darin. – Zum Künstler wird man gemacht; jede Selbsternennung erzeugt meine Skepsis.
Andererseits: Wohin mit dem mühsam antrainierten Selbstbewusstsein? Blogs (oder Webpräsenzen) sind ideale Ausstellungsfenster – und natürlich zumeist redundant. Das ist übrigens kein Phänomen von Künstlern, sondern auch von Journalisten. (Und doch muss man bei aller Kritik beachten, wie dünn das Eis ist, auf dem man sich begibt und andere maßregelt.)
Ihre Kritik richtet sich vermutlich besonders gegen einen Blog, dessen Betreiber auch schon mal von einer „Selbstkrönung“ sprach… Ich find’s gar nicht so schlimm. Sollte nicht zu penetrant sein (mir fällt grad ger keins ein bei dem mir das aufgestoßen wäre), aber es zählt ja immer noch der Text und bei dem kann man dann ja entscheiden, ob man ihn lesen möchte oder nicht.
Unten irgendwo schrieb Blogo:
„Ist es nicht fast ein Zeichen von Höflichkeit, wenn man den Lesern das Gefühl zu schenken versucht, sie bekämen hier etwas von Wert geboten?“
(Das ist natürlich ein viel zu weites Feld, aber kulturelle Wertigkeit wird in ähnlicher Weise vielleicht oft einfach behauptet. Von
Werken mit oder von großen Namen. Und ein Werk, das selbst nicht das Gepräge des Großseins hat, dem wird man’s wohl nie glauben?)
Diese ganze Diskussion ist so jämmerlich! Oh, Mann … Ihr begreift ja wirklich alle GAR NICHTS!
Endlich einer mit Eiern hier.
[…] erzähl ich das alles? Eigentlich als Antwort auf einen sehr nachdenklichen, wütend-zerknirschten Artikel von Phorky. Und dann als Begründung, warum der blogozentriker sich nach Möglichkeit einer klaren […]
Martin Walser: „Das Rechthabenmüssen, wie es im Schwange ist, darf sich ja nicht selbst relativieren. Je vollmündig-selbstsicherer es auftritt, desto mehr beeindruckt es, gilt es.“ (hier steht es)
Dazu eine Anmerkung. Es muss definitiv: „vollmundig-selbstsicher“ heißen, „-mündig“ ist ja eher das Gegenteil des Gemeinten. Und noch eine Anmerkung zu Phorkys Artikel: Es muss, direkt im ersten Satz, definitiv: „Alle doof außer MIR“ heißen. Oder ist die schlampenhafte Rechthaberei der anderen die Rechtfertigung für die eigene Schlamperei? Aha!
Leider habe ich den Link falsch gesetzt. Bitte den Punkt am Ende weglassen.
Ja, ich verstehe diese doppelt und dreifach gesetzten Pirouetten der Ironie. Um es auch mal zu sagen: Die hängen mir ebenso zum Halse heraus wie dieses Rechthabergekrächze. Geschenkt. Und – das mit Verlaub – auch mal draufgeschissen. Witzelt Euch zu Tode wie die Rechthaber sich zu Tode rechthaben.
Danke für den Redetext. Manches scheint mir sehr vertraut, bzw. wollte ich ähnlich auch ausgedrückt haben:
Für diesen neuen, negativen Schub waren wohl die letzten Selbstzerfleischungen bei Niggemeier Anlass, die mich einfach ratlos daneben stehen ließen. Und das Gefühl dass es einfach überall so ist, ob die Leute sich die Köpfe einschlagen über das Urheberrecht, Multi-Kulti oder sonstwas: immer mutwillige Polarisierungen unser Gedankenwelten, denen wir uns aber nicht entziehen können.
Meine Einlassung war vielleicht unnötig aggressiv und wütend, dabei ist es eigentlich Traurigkeit, die ich empfinde (auch darüber dass man in dieser Kommentarspalte den Polarisierungen nicht entrinnt)… darüber wie Recht Remizov hatte, dass man höchstens als Affe noch die Chance hätte, ein ganzer Mensch zu sein.
@Phorkyas
Natürlich inszeniert sich Walser auch ein bisschen selber.
Ihrem Text stimme ich ja zu: Mir geht dieses vorauseilende Rechthabertum ja auch auf den Geist (wohl wissend, gelegentlich[?] selber in diesen Duktus zu verfallen). Aber was will man machen? Wer heutzutage nicht „polarisiert“ geht doch im medialen Hackbraten unter. Der Nachholbedarf der Generation Leserbriefschreiber ist immer noch sehr hoch. Und die sogenannte Facebook-Generation hält sich doch ohnehin für unbesiegbar. Ist Ihnen aufgefallen, wie schlecht die Nehmerqualitäten derjenigen sind, die sich für die digitale Avantgarde halten?
(PS: Sollte ich mit meinem Ausdruck zu weit gegangen sein, entschuldige ich mich dafür.)
Ein gewisses Rechthabenwollen gehört zu jeder Diskussion, sonst führte man sie nicht. Aber es gehört auch dazu seine Position in Schwebe zu halten, Zugeständnisse zu machen, Auszutauschen, es sei denn man möchte kämpfen. Kann man, muss man manchmal, schließt allerdings das eigene System kurz.
Ansonsten möchte ich Dir widersprechen, da ich, zumindest bei denen, die ich ein wenig kenne, damit keinerlei Probleme habe.
Das ist ja bei mir ein wiederkehrendes Thema.. Ich möchte ja dem Netz oder Bloggen nicht die Möglichkeiten absprechen. Kommunikation, offen und ergebnisoffen findet ja statt. Meistens aber, so mein Eindruck schwimmt man in seinem Clan oder Blogroll, innerhalb dessen man seine Bestätigung bekommt. Interessant wird es vielleicht, wenn es zu Konflikten kommt: dann wird ein Angreifer, Troll auch gerne kollektiv weggebissen. Dann sieht man vielleicht erst, wie eingeschworen, homogen die Gemeinde eigentlich schon geworden ist (oder macht das erst der gemeinsame „Feind“)? Das zeigt aber vielleicht nur wie stark die virtuellen Verbindungen sind — wie „analoge“ Freundschaften eben auch. Da sehe ich immer wieder: wie man die Fähigkeiten der eigenen Freunde lobt, und Fehlverhalten erstmal außerhalb vermutet. Das ist wohl gut und normal: dass die Bestätigung, die man sich gibt auch schon mal recht grundlos sein kann, dass man sich einfach mal lobt und wertschätzt und sich im Recht glaubt, wo es objektiv vielleicht gar nicht gegeben wäre.
Irgendwie vom Thema abgekommen: Von den Gruppen wollte ich eigentlich sprechen, wegen dieses möglichen Gegenarguments: Sie verzerren deine Sicht (wie der bei Walser herbeizitierte Zeitgeist). Es wird kaum noch möglich einen Blick von außen darauf zu bekommen. – Solange man aber innerhalb des eigenen Zirkel bleibt, läuft die Kommunikation recht reibungslos. (Ist jetzt wieder verallgemeinernd, möglicherweise schief, negativ. Aber vielleicht weißt du ungefähr was ich meine. — Es soll ja nicht heißen, dass alle Diskurse ganz und gar verklebt wären.)
„Interessant wird es vielleicht, wenn es zu Konflikten kommt: dann wird ein Angreifer, Troll auch gerne kollektiv weggebissen. Dann sieht man vielleicht erst, wie eingeschworen, homogen die Gemeinde eigentlich schon geworden ist (oder macht das erst der gemeinsame “Feind”)? Das zeigt aber vielleicht nur wie stark die virtuellen Verbindungen sind — wie “analoge” Freundschaften eben auch.“ – Stimme zu und wieder würde nun ein „Biologismus“ meinerseits halt voll ins Schwarze treffen (geschenkt…).
Hmpff. Eigentlich wollte ich meinen „Küchenpsychologismus“ gelöscht haben. Langsam haben die Kommentare mich so verwirrt, dass ich gar nicht mehr weiß worum es eigentlich ging — vielleicht lag’s aber auch am Bier, Übermüdung und Angepisstheit, dass ich beim Verfassen des Eintrages es noch zu wissen glaubte.
Ähm, ich hoffe, Phorky, du betrachtest meinen letzten Kommentar im metepsilonematischen Sinne als ironisierendes Ornament.
@tom: Bazinga! Nein, im Ernst ich möchte mich auch nicht gleich wieder von allem Gesagten distanzieren. Vielleicht war die These des Eintrages die: Im menschlichen Bewusstsein findet sich ein Zug zur Selbstüberhöhung (blinden Selbstaffirmation?) , insofern ein Blog die Ausstellung eines Bewusstseins ist, lässt sich dieser Zug auch dort überdeutlich feststellen.
Blogs sind als Medien ja verschiedentlich form- und nutzbar. Und dass allgegenwärtige soziale Prozesse auch hier anzutreffen sind, nun, warum sollte das nicht so sein? Mit Blogs wie Niggemeiers habe ich nur selten zu tun, aber zuzüglich zu den sonstigen Differenzen gegenüber der Kommunikation in Fleisch und Blut, fehlen dann auch noch gewisse Banden virtueller Bekanntschaft, die raue Umgangsformen fördern.
Ich würde gern darauf hinweisen, dass ein Blog ja auch eine Bühne ist, gegebenenfalls. Oder? Ist es nicht fast ein Zeichen von Höflichkeit, wenn man den Lesern das Gefühl zu schenken versucht, sie bekämen hier etwas von Wert geboten? Um die Thematik auch mal von der anderen Seite zu beleuchten.
Bevor ich mich in den Kommentarbäumen noch mehr verwirre, fange ich einfach neu an.
Ich beobachte das ja seit langem, dass man auf wirklich aktiven Blogs (wie Niggemeier) sehr schnell weggebissen wird, wenn man dem gängigen „Stream“ der Adepten nicht anhängt und Kritik übt. Dabei sind zwei Phänomene zu unterscheiden: Entweder man übt Kritik an der Sache und schreibt sachlich. Oder kritisiert polternd im ironisch-zynischen Zeitgeistparlando (also zumeist so, wie auch Niggemeier seine Beiträge zu würzen pflegt). In jedem Fall schallt einem dann eine entsprechende Reaktion zurück (meist nicht vom Blogherrn selber, der, wenn überhaupt sich sokratisch mit Fragen zu Nebendetails meldet), die zumeist nach zwei, drei Kommentaren in persönliche Angriffe münden. Neben dem gängigen Rudelverhalten ist interessant, dass die „Freunde“ häufig beim Kritiker genau das kritisieren, was sie dann selber praktizieren.
Ein schönes Beispiel ist diese lächerliche Diskussion um die Feddersen-Beiträge der taz. Feddersen lässt sich zu dem Begriff des „Menschenrechtisten“ für diejenigen hinreissen, die sich für die Schwulen in Aserbeidschan einsetzen. Man weist diesen Begriff nun mit der üblichen Empörung zurück. Ich stelle jedoch die (sicherlich provokative) These auf, dass man in einem anderen Zusammenhang diese Kreation selber verwendet und für gut gefunden hätte. Die Diskussion zeigt dann, wie die Meute über Feddersen und die taz-Chefredaktion herfällt, weil ein Kolumnenbeitrag von Elmar Kraushaar nicht publiziert wird. Hier posiert dann Niggemeier als Wahrer der Meinungsfreiheit („Folgender Text erscheint deshalb morgen nicht in der »taz«“). Das Argument, das es unüblich ist, dass sich Redaktionsmitglieder bzw. Kolumnisten in dieser Form im Blatt selber angreifen, wischt man einfach weg. Dabei wird geflissentlich übersehen, wie Niggemeier oft selber zu Internas der FAZ und sicherlich auch jetzt des Spiegel schwieg bzw. schweigt. (nebenbei zeigt sich die Problematik, wenn ein medienkritischer Journalist selber einer Redaktion angehört).
Mein „Bruch“ mit Niggemeier lässt sich genau datieren. Er, der „Erbsenzähler“ (wobei ich das ja gar nicht schlimm finde) schlug vor einigen Jahren in einem rhetorischen Kanonendonner gegen die zu Felde, die sich über seine Verwendung des Ortsnamens „Bombay“ mokierten. Ich (aber nicht nur ich) wies darauf hin, dass es „Mumbai“ heisst (man sage ja auch nicht mehr Karl-Marx-Stadt, sondern Chemnitz). Niggemeier plädierte hier für Hemdsärmeligkeit und beschimpfte mich (wenn ich es richtig in Erinnerung habe) der Rechthaberei (!). Die Causa selber ist noch lächerlicher als das oben genannte Beispiel, zeigte aber sehr schön, mit welch zweierlei Maß da gemessen wird. Man kann nicht jedes am Ende dann doch fast bedeutungslose Detail einer Zeitungsnachricht monieren (manchmal ist es ja nicht einmal das, sondern nur die Gesinnung), um dann bei sich selber Großzügigkeit walten zu lassen.
Im übrigen glaube ich, dass diese Form der Herablassung und Arroganz kein Phänomen des Blogwesens ist. Es stellt sich schon immer so dar: Das Feuilleton ist praktisch die Erfindung des Besserwissers. Die Bühne gehörte dem Feuilletonisten ganz alleine; das „niedere Volk“ durfte allenfalls Leserbriefe schreiben. Jetzt eifert es denen nach, die man seit Jahrzehnten ertragen hat. Dass dies inzwischen fast nur noch gesinnungsästhetische Effekte produziert, macht es so langweilig.
Einen „Bruch“ kann ich nicht datieren, wohl aber eine Desillusionierung. Das war als ich über ein paar der Keilereien zwischen Niggermeier und Don Alphonso stolperte. Walsers „Kindergarten“ kommt mir in den Sinn, aber vielleicht war’s auch nur naiv von mir zu glauben, diese Altvorderen würden sich anders gebärden als der Rest.
Es war genau diese Diskussion um Feddersen, die mir wieder aufstieß. Da mischte sich ja auch ein taz-Redakteur ein und hatte ein paar ganz ordentliche Argumente, die vom Hausherrn und seiner Meute in der Mehrzahl igoniert wurden. Eine Bemerkung wurde dann nur bespöttelt, da hatte der Redakteur vorgeschlagen, dass Niggemeier ihm ja Platz für einen Gegen-Gastbeitrag in seinem Blog einräumen könnte. Niggemeier antwortete in der Kommentarspalte nur so ähnlich wie „Hier ist genug Platz:“
Im übrigen glaube ich, dass diese Form der Herablassung und Arroganz kein Phänomen des Blogwesens ist. [..] Jetzt eifert es denen nach, die man seit Jahrzehnten ertragen hat.
So ist es wohl. Das Netz ist eben auch nur Spiegel dieser Gesellschaft, und je mehr man da von „frei“ und „(basis-)demokratisch“ parolt, um so mehr überzeugt man mich davon, dass es damit so weit nicht her sein kann.
Tja, diese Desillusionierung des basisdemokratischen stellt natürlich – ein bisschen überspitzt formuliert – die „Systemfrage“. Was ist Demokratie genau? Ist sie am Ende nur ein Abklatsch gebündelter Volksmeinungen, die entsprechend durchzuführen sind? Ist es wirklich so einfach, dass immer die Mehrheit bestimmt? Und: Welche Mehrheit ist das denn? Es geht ja schon los, wie man einen Abgeordneten in einem Parlament definiert: Ist er „Erfüllungsgehilfe“ des Wählers (falls ja: wessen Wählers? nur seiner Klientel?) oder – wie es in der Theorie ist – nur „seinem Gewissen“ verpflichtet? (Ich habe das mit metepsilonema und anderen auf meinem Blog oft genug diskutiert – und schwankte dabei immer wieder selber hin und her: zwischen imperativem Mandat einerseits [Listenwahl!] und absoluter „Freiheit“).
In Bloggerkreisen hatte man sich vor einigen Jahren über die abschätzige Einordnung von Blogs als „Klowänden des Internets“ erregt. Das ist mit dieser Pauschalisierung natürlich Unsinn. Aber es steckt mehr als nur ein bisschen Wahrheit darin. Wenn man sich die hämischen und höhnischen Kommentare bei Twitter durchliest, wenn zwei Leute Fußball moderieren etwa. Wenn DAS repräsentativ für eine basisdemokratische Gesellschaft sein soll, wird einem angst und bange.
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Der Kommentar Niggemeiers „Hier ist genug Platz“ hat mich auch gestört. Aber es ist ein Machtspiel. Den „unterdrückten“ Artikel Kraushaars bringt er auf seinem Blog – die Gegenrede nicht. Er bestimmt, was oben steht und was nicht. Da Niggemeier als Schwuler selber betroffen ist (das konnte man ja schon verschiedentlich bei ihm in gewissen Andeutungen lesen), macht er seine Betroffenheit zum Maßstab der Berichterstattung. Das ist sehr problematisch – aber streng genommen natürlich in einem Blog okay. Denn – und das wird oft verkannt – ein Blog ist nicht zur Neutralität oder Objektivität per se verpflichtet. Blogs sind Meinungsmedien. Daher kommt ja den Kommentaren eine gewisse Bedeutung zu. Sie könnten – im Idealfall – den Diskurs befördern. Das wird aber erschwert, wenn Gegenstimmen weggebissen werden bzw. sachliche Argumente nicht berücksichtigt werden oder ihnen ausgewichen wird. Bei Niggemeier kommt hinzu, dass er relativ schnell die Lust verliert und dann sozusagen „übergibt“. Er löscht dann nur das Gröbste noch.
Als Tiefpunkt seines Blogs empfand ich zwei Beiträge. Einer bestand aus einem Video von Tom Cruise, der darauf ausflippte, als es um Scientology ging. Der Beitrag bekam über 1.100 Kommentare, in dem sich eine große Mehrheit in Schmähungen und Häme über Cruise ergießen durfte. Dabei wurde natürlich sofort seine Mitgliedschaft in der Sekte als Kriterium für sein angeblich schlechtes Schauspiel genommen. Niggemeier schritt kaum ein. Immerhin gab es ein paar Gegenstimmen, die natürlich sofort beschuldigt wurden, sich mit der Sekte zu identifizieren (es gab wohl auch Scientologen). Und der andere zeigte wie es mit Niggemeiers Haltung zu Persönlichkeitsrechten steht, wenn die Person nicht aus „seinem“ Meinungsspektrum kommt. In aller Öffentlichkeit machte Niggemeier Konstantin Neven DuMont lächerlich. Dabei erklärte er nicht nur, wie DuMont scheinbar unter mehreren Pseudonymen in seinem Blog kommentierte – das wäre noch halbwegs okay gewesen -, sondern gab auch noch die Person der allgemeinen Lächerlichmachung durch seine Kommentatoren preis, nachdem die ersten rd. 300 Kommentare zum Teil ja durchaus sachliche Bezüge trugen (es gab dann insgesamt über 3.600 Kommentare, wovon knapp zwei Drittel beim Relaunch wohl gelöscht wurden).
Sorry, habe Kursivsetzung bei „Meinungs“ nicht mehr gelöscht…
Blogs sind Meinungsmedien. Das ist faktisch gemeint, oder? Prinzipiell (also technisch) sehe ich das nicht so (und sonst eigentlich auch nur eingeschränkt).
Das ist natürlich der Realität abgeschaut. Um es zu präzisieren: Blogbeiträge sind zumeist das, was man früher in Zeitungen „Kommentare“ nannte. Also subjektive Stellungnahmen (zumeist mit Ironie und/oder Zynismus gewürzt.
Daran ist per se nichts Verwerfliches. Mit der Zeit droht nun das, was Phorkyas in seinem Beitrag so schön benannt hat und die Selbstgewissheiten nehmen überhand. Dies wiederum hat zur Folge, dass in Kommentaren, die einen Widerspruch formulieren, schnell ad hominem „geschossen“ wird. Das führt dazu, dass man dann irgendwann „unter sich“ ist.
Das alles hat m. E. viel mit der sogenannten Aufmerksamkeitsökonomie zu tun. Blogger sind – auch wenn oft das Gegenteil gesagt wird – auf ein gewisses Publikum aus (ansonsten könnten sie in ihr Tagebuch mit Füller schreiben). Wenn man jedoch seine Ansichten einer etwas grösseren Klientel bekannt machen möchte, muss man irgendwie „auffallen“. Das gelingt – leider – am Besten mit besonderen Formulierungen, großspurigem Auftreten und/oder steilen Thesen. Folgt man dieser Ökonomie nicht, kommt man ganz schnell in den Ruf, langweilig zu sein. Das ist aber die Höchststrafe.