Konstruktivismus anyone?
von phorkyas
Ja, reflektieren sie denn grad alle über Begriffe oder den Konstruktivismus?
Mete, Frau Torik, Kwaku Ananse und Tom-ate.
Irgendwie hatte ich das ja auch schon mal so ähnlich: der Mensch als Metaphernmaschine, in Narration, in Sprache erschaffen und bewältigen wir unsere Welt. Was mich daran stört ist ein gewisser Relativismus: Millionen, Milliarden Welten können da hervorgebracht werden, ohne zunächst in irgendeinem Bezug zu stehen. In meiner Welt könnte der Mond aus Käse sein, warum auch nicht?
Vielleicht ist es aber so ähnlich wie es sich in Metepsilonemas Entwurf andeutet: all die Welten sind nicht isoliert sondern im ständigen Kontakt, Umbruch, durch oder in Kommunikation. Manche Absurdität mag so verhindert werden.. andere Kollektivhalluzinationen mag es aber noch befördern.
Irgendwie jedenfalls bin ich vom Konstruktivismus wieder abgerückt. Vielleicht bin ich zu sehr Physiker oder gar Metaphysiker? Oje.
Alea Torik schreibt:
Die Bilder der Physiker – vom Universum und dem ganzen Rest – sind sehr schöne, in erster Linie allerdings poetische Bilder. Wir visualisieren die Umstände, um sie uns vorstellen zu können.
Wenn sich das z.B. auf die Bilder vom Hubble-Teleskop bezieht, so könnte ich hier jedoch einwerfen, dass da meines Wissens zunächst nichts manipuliert oder poetisiert ist: Die Bilder zeigen, was wir auch mit dem Augen sehen könnten, wäre nicht die störende Atmosphäre dazwischen und unsere Augen ein paar tausend Mal schärfer. (Allerdings steht da natürlich immer noch das Problem, diese Dimensionen zu fassen, was im bunten Bild zum Glück unter geht und wo wir dann uns mit den Zahlen behelfen müssen wie einst Archimedes mit seiner Sandzahl.)
Es ist schon so, dass ich auch Paradigmen oder Leitbilder wissenschaftlicher Forschung mitunter als Metaphern sehe. Und auch Begriffe, die wir als wissenschaftlich klar und eindeutig wähnen, sind in Wahrheit vielleicht auch mit fransigen Rändern oder gar nicht so klar definiert wie wir denken, aber wir haben mit der Zeit gelernt sehr effektiv damit zu operieren (z.B. Kraftbegriff, Energie, etc.) – Aus dieser Praxis stammt dann auch vermutlich ein Art Realismus, von dem ich annehme, dass die meisten Physiker ihm anhängen: Da wird dann eben nicht mehr unterschieden zwischen Modell und Realität. Es ist ja auch wahnsinnig umständlich zu sagen: „Wir können gewisse Eigenschaften eines Festkörpers gut dadurch beschreiben, dass wir annehmen, in ihm befände sich ein Gas von freien Elektronen“ – Gewisse Modelle, Vorstellungen von Materie sind so gut etabliert, dass wir diese Klammer „Es ist nur ein Modell“ weglassen. Wir bestehen aus Elektronen und Nukleonen. Punkt.
[Und selbst wenn es nur Modelle nur Annäherungen gibt. Was sind das dann für Modelle wovon bzw. Annäherungen woran?]
Interessante Ideen. Den Begriff der „Sandzahl“ kannte ich noch nicht. Unlängst habe ich gelesen, dass keinesfalls alle Mathematiker tatsächlich von der Existenz unendlich vieler Zahlen ausgehen – was zu einem interessanten Widerspruch zu einigen ihrer Methoden führt, z.B. der vollständigen Induktion, die ja genau davon ausgeht.
Ansonsten löse ich für mich den Widerspruch zwischen den denkbaren Welten und der (physikalisch) realisierten wie folgt: Bei N Teilchen ist die Anzahl der Wechselwirkungen eine Potenz davon. Diese Diskussion hatten wir ja hier schon einmal geführt. Damit sind die denkbaren Welten genauso real wie die physikalische, weil sie sich als Wechselwirkungen in ihr manifestieren – wir können sie ja denken.
Ich wollte einmal einen anderen Ausgangspunkt versuchen: Von dem was wir tun. Und annehmen, dass das mit einem gewissen Erfolg geschieht, uns also nicht derart sinnlos erscheint, dass wir es wieder sein lassen. Wir versuchen zu erkennen, weil wir der „bestätigten“ Meinung sind, dass sich das lohnt, auch wenn man sich dessen selbstverständlich nicht sicher sein kann — trotzdem können wir das abschätzen, ungefähr. Oder besitzen ein Gefühl davon. — Eine Annahme.
Gerade was Kommunikation betrifft, scheint mir der Konstruktivismus angemessen: Sehr viele Missverständnisse lassen sich dadurch erklären, dass wir viel von der Bedeutung und allen weiteren Assoziationen und Gefühlen die jeden noch so kleinen Texte begleiten, miterschaffen, in ihn unwissentlich hineinstecken, ihn vor einem bestimmten Hintergrund lesen.
Was sind das dann für Modelle wovon bzw. Annäherungen woran?
Das ist, was ich mit (u.a.) Verbindlichkeit meine: Wir handeln im Allgemeinen so, dass wir sie voraussetzen, dass nicht zu jedem Moment alles passieren kann. Man könnte auch Realität sagen, aber das impliziert schon mehr und taugt nicht mehr als ethischer Begriff.
Lieber Phorkyas,
ich habe die anderen Beiträge, insbesondere den langen Essay von Metepsilomena noch nicht zur Kenntnis genommen, verschiebe das aber auch aufs Wochenende.
Zu meinem eigenen Beitrag möchte ich noch anfügen, dass ich, als ich sagte, dass wir die Umstände visualisieren, sagen wollte, dass wir das eben nicht so sehen können, wie uns die Teleskope oder andere bildgebende Verfahren das zeigen. Wir behaupten, dass wir es so sehen könnten, aber wir können es nicht! Ich empfinde das als einen wesentlichen Unterschied. Weil es eine logische Absurdität beinhaltet: es ist vollkommen unmöglich, dass unsere Augen das sehen also ist es absurd, zu sagen, könnten sie es, sähen sie sie es genauso wie die Teleskope. Mit demselben logischen Verfahren könnte ich zu der Frau bei meiner Bank gehen und sagen: ‚wenn Ihre Augen besser wären, könnten Sie die Millionen auf meinem Konto sehen‘.
Ich hatte das vor einiger Zeit schon einmal, bei dem Artikel zu Del Guidice: Im Atomkern sieht es nicht so aus wie wir das im Physikunterricht lernen. Da sieht es gar nicht aus! Weil unsere Augen das schlicht nicht sehen können. Das meinte ich, als ich sagte: „Aber was wir uns vorstellen können, ist nicht die Wahrheit über das, was da draußen wirklich ist. Es ist die Wahrheit über das, was wir uns vorstellen.“ Ich stelle mir die Millionen auf meinem Konto vor, ich stelle mir vor, was ich damit machen würde. Aber das reicht bedauerlicherweise nicht aus, um sie abzuheben.
Man muss sich über diese Differenz im Klaren sein. Mehr wollte ich (wahrscheinlich) nicht sagen. Und dasselbe meinen Sie (wahrscheinlich) auch, wenn Sie schreiben: „Gewisse Modelle, Vorstellungen von Materie sind so gut etabliert, dass wir diese Klammer ‚Es ist nur ein Modell‘ weglassen.“ Auch das reicht nicht, um an das Geld zu kommen. Dazu brauchen Sie oder ich, eine Pistole: das Hubble Teleskop. Heißt das so?
Die beiden Klammern mache ich übrigens, um Ihnen, die Sie die Klammern ja lieben oder doch intensiv nutzen, meine Auffassung schmackhaft zu machen.
Aléa
Liebe Alea,
vielen Dank, dass Sie auf diesen Punkt noch einmal stoßen. Was ich meinte, und was auch wieder so eine Art Realismusannahme sein könnte ist: unsere Messinstrumente lügen nicht – weniger sogar noch als unsere Augen, die dann zu allerlei optischen Illusionen verführt werden können. Die Daten, Bilder, die ich mit dem Teleskop bekomme – da steht ein hoffentlich wohldefinierter Prozess dahinter, bei dem ich sogar das gleiche Farbspektrum betrachte, wie es das menschliche Auge haben würde – jedenfalls sind so weit ich weiß die Hubble-Teleskop-Aufnahmen in der Regel keine Falschfarbaufnahmen, nichts nachträglich eingefärbt oder so. Dahinter stecken dann auch wieder ein Haufen Theorie über den Sehvorgang oder das Teleskop/Messinstrument.., aber das wollte ich kurz ausklammern: die Daten sind die Daten.
In der Interpretation der Daten, da geht’s dann erst richtig los mit den Modellen: dass wir diese Farbkleckse für Milliarden von Lichtjahren entfernte Galaxien halten, ja das kann man vielleicht mit der hypothetischen Million auf dem Konto vergleichen. –
Und die Atome und -kerne sehen gar nicht aus, da haben Sie völlig recht, das sind keine bunten Punkte mit Plus und Minus, als die sie oft abgebildet werden. (Auf der anderen Seite kann man mit dem einen Modell Atombomben bauen und mit der Million auf dem Konto, nur imaginär die Welt retten. – und ich wäre hier fast ohne Klammern durchgekommen)Ich hoffe, das macht diesen Punkt etwas klarer, insofern es einer ist.
Herzlich,
Phorkyas